„… und jetzt fragt ihr uns nach lösungen?“ #spanishrevolution

„yes we camp!“ stell dir vor in spanien und griechenland gehen die menschen auf die straße und ein paar ecken weiter machen andere ihren urlaub.
wenn ich mal mit dem thema der demokratie-bewegung innerhalb europas konfrontiert bin, schwanke ich zwischen faszination und ratlosigkeit. berlin mag zwar in der mitte europas liegen, aber das heißt noch lange nicht, dass man alles mit-bekommt. sorgen mache ich mir aber keine. oder sollte ich? ich echauffiere mich häufiger im alltag, mehr als mir lieb ist, aber ich bin noch welten davon entfernt mich zu empören.
... und jetzt fragt ihr uns nach lösungen? #spanishrevolutionich bin meiner meinung nach auch viel zu schlecht informiert. teilweise liegt die schuld bei mir, teilweise auch an dem verblüffenden desinteresse von seiten der medien. dank internet ist man nur einen klick von den ereignissen und der partizipation entfernt. so gibt es auf echte-demokratie-jetzt.de eine ausführliche begleitung der geschehnisse. uli ist einer der verantwortlichen der seite und mit ihm habe ich per e-mail ein interview geführt, um mehr zu erfahren.

hallo uli, wo planst du deinen nächsten urlaub? griechenland? vielleicht nach athen? oder gehts nach madrid?

hallo olli!
uiuiui. urlaub. was ist das? im moment passiert so viel in der welt, da kann ich nicht einfach urlaub planen. madrid wäre toll, um etwas vom „spanischen geist“ mitzubekommen. aber auch urlaub am see ist schön.

was ist das für ein „spanischer geist“?

seit dem 15. mai gingen in spanien tausende menschen auf die straßen und campierten einen monat lang auf zentralen plätzen in über 60 städten. aufmerksam bin ich geworden durch das auftaktvideo hier:

das war am 17. mai.
in den deutschen medien: gähnende leere.
auch online: leere.
lediglich internationale medien und ein paar deutsche blogger haben berichtet.
darüber habe ich mich empört und zusammen mit thomas stelling die website http://www.echte-demokratie-jetzt.de in einer nacht-und-nebel-aktion ins leben gerufen.
dort sammeln wir informationen zu der spanischen protestbewegung, um dem „leitmedienblackout“ entgegenzuwirken. denn es sieht so aus, als würde dort etwas neues stattfinden. menschen erheben zusammen ihre stimme, denn sie fühlen sich von ihren politikern nicht mehr vertreten. sie kommen miteinander ins gespräch, erötern probleme und suchen lösungen durch konsens. vor allem hören sie einander zu. respektvoll und ohne vorurteile. sie haben keine angst, denn sie haben nichts zu verlieren. da entsteht ein neues „wir“, wie es auch im arabischen frühling schon durchschimmerte.
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für die linksammlung
die ersten berichte

seit dem 17. mai ist viel zeit vergangen. hat sich in den medien seitdem etwas verändert?

ja und nein. ein paar berichten mehr und ausführlicher als andere. aber frag doch einfach mal selbst im freundes- und bekanntenkreis, ob man, bzw. was man von spanien gehört hat.

guter punkt. liegt es also nicht nur an den medien, dass die aufmerksamkeit fehlt? warum kommt diese bewegung scheinbar bei den leuten nicht an?

ich denke es herrscht seit einiger zeit ein aufmerksamkeitskampf.
um ihn zu gewinnen wird eine sau nach der anderen durch die medienwelt getrieben.
egal, ob du offline, online, etabliert oder „nur“ in blogs schaust.
die schlagzeile „friedliche demonstranten reden miteinander und fordern eine echte demokratie“ zieht bei unserer heutigen (medialen) abstumpfung nicht.
deshalb berichten die etablierten medien oft erst, wenn gewalt ins spiel kommt.
der eine punkt ist also: es wird in den leitmedien wenig berichtet.
der andere ist: wir werden mit vermeintlich wichtigen nachrichten so zugemüllt, dass viele interessante geschehnisse untergehen.
es liegt also am einzelnen, ob er oder sie sich selbst informiert, was ja dank internet relativ einfach wäre.
doch vermute ich, dass das viele nicht tun, weil man beispielsweise im job schon genug um die ohren hat oder es in der familie kriselt und man dann am liebsten nur noch sagt:
„lass mich doch wenigstens in meiner freizeit in ruhe abschalten.“
oder was denkst du?

das wäre im Bezug auf mich einigermaßen zutreffend. andererseits: wo und wie könnte ich einen Beitrag leisten?

die frage ist ja erst mal:
willst du einen beitrag leisten… und wenn ja, warum? und wofür?
selbst gut ausgebildete menschen in spanien haben auf dem arbeitsmarkt verloren, weil sie keinen job bekommen. und falls sie doch einen bekommen, dann ist er nicht gut bezahlt. es gibt eine sehr hohe jugendarbeitslosigkeit und sie glauben, dass es an den gegenwärtigen (gesellschafts)strukturen liegt.
deswegen stellen sie „das system“ in frage und denken darüber nach, in welcher gesellschaft sie leben wollen.
jetzt kann man sagen, dass das ein rein südländisches problem sei (griechenland, portugal, spanien, italien,…), doch schaut man genauer hin, sind das fragen, die auch in anderen ländern auftreten – wenn auch in unterschiedlicher brisanz.
die spanischen demonstranten fühlen sich von ihren politikern nicht vertreten und wünschen sich mehr mitsprache an ihrem eigenen schicksal.
dafür haben sie viele gespräche geführt und möglichst viele redebeiträge einbezogen, um beim jeweiligen thema zu einem konsens zu kommen. einem konsens der dem gemeinwohl, dem „common sense“, gerecht wird und nicht nur einzelnen interessensvertretern.
dein beitrag?
vielleicht: informier dich und komm ins gespräch mit menschen.
es gibt viele initiativen und webseiten, die sich mit diesen themen befassen.

was – abgesehen von der diskussionskultur – hat sich bislang dank der bewegung durchsetzen können? was wurde bislang erreicht?

die demonstranten werden oft belächelt, weil sie keine konkreten ziele nennen. unser denkmuster: konkrete ziele und deren umsetzung bieten einen erfolgsmaßstab.
der große erfolg in spanien scheint mir aber nicht-messbarer art zu sein.
die menschen haben erkannt, dass sie zusammen etwas bewirken können.
und sie haben erkannt, dass die komplexen probleme, die wir weltweit haben, nicht von ein paar experten gelöst werden können.
durch perfekt organisierte gruppengespräche versuchen sie kollektive intelligenz zu erzeugen. eine kurze anleitung dazu haben wir übersetzt:
das große spanische gespräch
das ganze läuft ja unter dem twitter-hashtag #spanishrevolution.
so diskutierten wir auch, was revolution überhaupt bedeutet. dazu hat tom den ersten blogeintrag verfasst.
auch wenn massen auf der straße erstmal eher bedrohlich wirken, so ist es doch eine sehr friedliche revolution (wenn man es so nennen will). und so chaotisch das zeltlager auf der Puerta del Sol in Madrid gewirkt haben mag – auch das war sehr gut durchdacht und es wurde für jeden gesorgt. mit essensausgabe (was umliegende anwohner und geschäftsinhaber brachten), bibliothek, krabbelstube,… die menschen hatten gemeinsam spaß und ein starkes zusammengehörigkeitsgefühl.
es wird von einer revolution des bewusstseins gesprochen. dazu ein schöner artikel: Die Revolution des Bewusstseins
rEvolution 3.0 sozusagen.

das klingt für mich sehr diffus. offensichtlich gibt es konkrete anlässe und gründe der unzufriedenheit. warum gibt man sich dann ausgerechnet mit unkonkretem zufrieden? damit ist doch nichts geändert?

richtig. geändert ist erst mal noch nichts. und zufrieden geben sie sich nicht, denn sie sind ja die „indignados“, also die empörten.
sie sind grundlegend unzufrieden und sagen: „wir sind nicht gegen das system. das system ist gegen uns.“
etwas konkreter: politiker vertreten ihre lobby – nicht das volk.
klar wurden sie seitens der politik auch gefragt, was sie denn wollen und haben als gegenfrage sinngemäß gestellt: „ihr politiker habt euren job nicht ordentlich erfüllt und uns dahin gebracht, wo wir jetzt sind. und jetzt fragt ihr uns nach lösungen?“
die spanier wünschen sich eine politik, die von breiter basis getragen wird. dafür experimentieren sie mit konsensprozessen und initiieren dafür gespräche mit vielen. das ist für unsere zeit neu und lässt sich nicht in eine klassische schublade stecken.
geändert hat sich vor allem die einstellung oder geisteshaltung einiger spanier.
sie haben ihre augen geöffnet

und erkannt, dass sie zusammen viele sind…

ich glaube, wer diese bilder sieht und nicht merkt, dass sich da etwas verändert hat… der kann noch ein zweites mal hinschauen ;-)

disclaimer: mit uli habe ich in konstanz philo studiert und pferde gestohlen. kein pferd ist dabei zu schaden gekommen, aber die gedanken wurden freier.

4 Gedanken zu „„… und jetzt fragt ihr uns nach lösungen?“ #spanishrevolution“

  1. Hallo, ein sehr guter Beitrag, ich persönlich habe nicht gewusst was dort in Spanien gerade passiert. Zwar schaue ich regelmäßig die Nachrichten im TV, oder höre Radio aber von Spanien …. nichts.

Erwähnungen

  • happy hour | schorleblog

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